Kinderernährung - meine 10 Tipps!
"Am allerliebsten esse ich Banane mit Erdnussbutter". "Ja, Bananen und Erdnussbutter essen wir momentan jeden Tag". Alle drei Geschwister nicken einstimmig. "Nur Curry mag ich nicht mehr. Früher habe ich das gemocht und jeden Tag gegessen. Jetzt will ich das aber nicht mehr." Lina (7), Theo (5) und Aurélie (3) sitzen neben mir, während ich frühstücke und sie frage, was sie am allerliebsten Morgens essen.
Allmählich bekomme ich das Gefühl, dass die Geschwister das Essverhalten ausleben, dass ich aus der Theorie heraus Eltern empfehlen würde. “Aus der Theorie” weil ich keine Kinder- und somit keine praktische Erfahrung im Hinblick auf Kindererziehung gesammelt habe. Der Artikel gibt dir einen Eindruck meiner Meinung, die von diversen ernährungspsychologischen Publikationen geprägt ist.
Zur Zeit des Dialogs befinde ich mich im Earth Park Asia auf Borneo bei der Roadfamily - eine österreichische Familie, die sich vor einigen Jahren gegen die Konsumgesellschaft entschieden hat und in einen fast unberührten Teil Sabahs ausgewandert ist, um hier ein freies, einfaches und möglichst nachhaltiges Leben zu führen.
Warum interessiert mich das Thema Kinderernährung?
Zum einen, weil Deutschland immer dicker wird und ich eine Ursache in der Kindererziehung sehe. Zum anderen ist es interessant die Frage zu klären, wie ein Essverhalten entsteht und gleichzeitig hilft mir das Thema mein eigenes Essverhalten zu verstehen.
Wie entsteht ein Essverhalten?
Klar ist uns sicherlich allen, dass ein Kind mit Instinkten auf die Welt kommt. Hat ein Baby Hunger macht es sich bemerkbar und sucht die Brust der Mama. Sobald das Baby satt ist dreht es den Kopf weg oder schläft zufrieden ein. Wenn es so bleiben würde und wir auch heute noch ausschließlich nach unseren inneren Signalen Hunger und Sättigung essen würden, wären Übergewicht und Fettleibigkeit wohl kaum ein Thema. Doch die angeborene Intuition wird bei dem einen schneller, bei dem anderen langsamer durch äußere Einflüsse abgelöst. Einige Mütter glauben noch, dass es gesünder sei ihren Babys eine klare Struktur zu geben. So wird durchaus das ein oder andere Kind im 4-Stunden-Rhythmus gestillt, auch wenn es sich noch nicht bemerkbar macht oder das hungrige Kind muss warten, bis es endlich soweit ist.
Ist es nicht die Stillzeit ist es nur eine Frage der Zeit bis weitere Rahmenbedingungen des Elternhauses und des Umfeldes generell dazukommen. Feste Essens- und Pausenzeiten sowohl zuhause als auch im Kindergarten, in der Schule und auf der Arbeit. Routinen und Traditionen, die ganz klar mit Essen verknüpft werden, wie der elementare Geburtstagskuchen, die Scheibe Wurst auf die Hand beim Metzger und die gebrannten Mandeln auf dem Weihnachtsmarkt. Hunger und Sättigung werden abgelöst durch Routinen, Events und Traditionen.
Wir vergessen dabei, dass es uns immer schwerer fällt auf unseren Körper zu hören. Anstatt auf Hunger und Sättigung zu achten, lernen wir teilweise schon als Baby ganz unbewusst, dass Überessen gut ist, denn es gibt Hungerperioden - Situationen, in denen wir nicht essen dürfen, weil es gerade unpassend ist. Wenn wir dies schon im Kindesalter lernen, werden wir als Erwachsene unsere Essensentscheidungen aufgrund anderer Faktoren tätigen.
Erpressung, Belohnung und Bestrafung
Hinzu kommen emotionale Aspekte, die es uns besonders schwer machen, wenn wir einmal groß sind. Ich erinnere mich daran, dass ich erst vom Tisch aufstehen durfte, wenn ich meinen Teller leer gegessen habe. Meine Eltern haben dies so von ihren Eltern, eine Kriegsgeneration die tatsächlich Hungerperioden durchgemacht hat, gelernt. Auch sehe ich Eltern vor mir, die ihr Kind mit Naschereien trösten, etwa weil es hingefallen ist oder Eltern, bei denen ein Dessert an Bedingungen geknüpft wird, etwa wenn die Möhrchen aufgegessen - und das Zimmer aufgeräumt wurde. Sprechen wir hier von Erpressung, Belohnung und Bestrafung? Lernen wir schon als Kinder, dass uns Essen tröstet, dass ein leerer Teller ein guter Teller ist, dass Gemüse ertragen werden- und das ein Dessert verdient werden muss?
Ich habe einige Eltern beobachtet und dabei fallen mir meist zwei Sorten direkt in Augenschein: Diejenigen, die ihren Kindern am liebsten einen Maulkorb umbinden würden um sicher zu sein, dass kein Zuckerkorn in dem kleinen Bäuchlein landet und das arme Kind vergiftet wird und auf der anderen Seite Mutter und Vater, die ihren Kindern beibringen, dass die Nahrungsmittel-Vielfalt aus verschiedenen, als Butterkeks getarnten, Zootieren besteht. Leibnitz sei Dank!
Mir fällt jedoch an dieser Stelle ein Video ein, das ich vor einigen Tagen bei Facebook gesehen habe. Ein kleines Mädchen, das im Hochstuhl sitzt und von Mama nacheinander Schokocreme, eine Tafel Schokolade, Kekse, Bonbons und Müsliriegel vorgesetzt bekommt. Die Kleine beschwert sich lauthals und lehnt alle Produkte ab, indem sie die Dinge von sich wegschiebt. Als sie eine Schüssel Brokkoli bekommt hellt sich ihr Gesicht auf und sie greift beherzt zu.
Die Kommentare vieler Mütter gingen in unterschiedliche Richtungen. Ein Großteil stempelte das Mädchen als Wunderkind ab während ein kleiner Teil Eltern bestätigte, dass sich ihre Babys genauso verhalten würden.
Das instinktive Essverhalten beibehalten
Es gibt Familien, die ihren Kindern den Rahmen schaffen, damit sie weiter ihr ursprüngliches, instinktives Essverhalten ausleben können. Mit Sicherheit auch hier in Wolfsburg. Ich musste bis in die Tropen reisen, um mir ein Bild zu machen!
Ich habe drei Kinder kennengelernt, die mir die Früchte des Landes erklärt haben. In ihren jungen Jahren konnten sie mir sehr gut erklären, wie das Obst und Gemüse zubereitet wird und in welchen Kombinationen es besonders gut schmeckt.
Beim gemeinsamen Gulasch-Kochen wollten Theo unbedingt mithelfen und schnippelte Kartoffeln wie ein großer. Die dreijährige Aurélie öffnete die große Kühlschranktür, nahm sich Bohnen heraus und reichte sie ihrer Mama Bianca, die das Grünzeug weiter verarbeitete. Lina kam immer mal wieder in die Küche um unbemerkt von den Tomatenstücken zu naschen.
In unserer gemeinsamen Zeit ist mir aufgefallen, dass die Kinder sich unheimlich gut mit Lebensmitteln auskannten, die Gerichte ihrer Mama liebten und Bescheid gaben, wenn sie Hunger hatten. Oft wurde gemeinsam entschieden, was es geben sollte und wenn Bianca keine Zeit oder keine Lust hatte Essen zuzubereiten schnappten sich die Kids selbstgemachtes Eis aus dem Gefrierfach, snackten Rohkost oder die heißgeliebten Schokokugeln ihrer Mutter, einer Mischung aus Trockenfrüchten, Nüssen und Kakao. Nicht unüblich, dass Theo mit seinen fünf Jahren selbst am Gasherd stand und Nudeln kochte.
Wie hatten es Bianca und Gerald geschafft, dass sich ihre Drei über eine Karotte freuen während in meinem Umfeld Gemüse lediglich eine unattraktive Beilage ist?
Bianca erklärte mir was ihr wichtig in Bezug auf die Ernährung ihrer Kinder ist. Sie möchte ihnen die Möglichkeit geben zu essen wann sie wollen, in ausreichender Menge, möglichst unverarbeitet und industriezuckerfrei. Sie essen so aus Überzeugung ohne das Gefühl zu haben auf etwas zu verzichten. Wenn die Kinder Lust auf Süßes haben, dann gibt es Obst, gerne auch weiterverarbeitet zu Eis oder selbstgemachtes Gebäck welches mit Datteln oder Rosinen gesüßt wurde.
Sind sie unterwegs wird der Rucksack mit Snacks gefüllt, oft Rohkost oder Nüsse, da das total unkompliziert ist.
Routinen haben sie auch. Beispielsweise das gemeinsame Frühstück, das aus vielen Früchten besteht. Mittags gibt es oft eine warme Mahlzeit wobei es völlig in Ordnung ist, wenn die Kinder sich noch 10 Minuten vorher Eis aus dem Gefrierschrank nehmen. Lina, Theo und Aurélie kennen sich gut aus, was die Lebensmittel betrifft, die zuhause aufgetischt werden. Grund hierfür ist auch, dass sie sich bereits als Kleinkinder während des Kochens in der Küche aufhalten durften. Wo sie sich nicht auskennen sind die typischen Süßigkeitenregale, wenn es sie als Familie doch mal in ein Einkaufscenter verschlägt. Daran gehen die Kinder vorbei, weil sie die Produkte nicht kennen. Stattdessen sind die selbstgebackenen Kuchen, Energyballs und Fruchtriegel von Mama ihre Leckereien. Nur zum Unterschied, dass sie diese auch gerne den ganzen Tag essen dürfen, da es in diesem Haus keine “schlechten” Lebensmittel per se gibt. Essen als Belohnung oder Bestrafung einzusetzen empfinden die Eltern nicht als richtig, geben aber zu, dass dies in der Praxis nicht immer gelingt. Essen sollen die Kinder nicht mit Stress verbinden, weshalb sie auch nicht aufessen müssen, wenn sie satt sind oder es ihnen nicht schmeckt. Von Erwachsenen würden wir dies doch auch nicht verlangen.
An dieser Stelle sei zu erwähnen, dass Bianca und Gerald ihren Kindern ein Umfeld geschaffen haben, in dem nicht die gleichen Ablenkungen und Reize einwirken wie in unserer Gesellschaft, die durch Kindergarten, Schule, festgefahrene Meinungen, Marketing etc. geprägt ist.
Gerald, Bianca, Lina, Theo und Aurélie
10 Tipps für die Erziehung intuitiver Esser
Dies sind meine Empfehlungen in Hinblick auf Kinderernährung:
Basis schaffen
Die Nahrungsmittelpräferenzen eines Kindes entstehen im direkten Umfeld - meist dem Elternhaus. Frei nach dem Motto “was der Bauer nicht kennt, isst er nicht” wird sich ein Kind eher zu Lebensmittel hingezogen fühlen, zu denen sich Mama und Papa hingezogen fühlen. Wenn die Grundnahrungsmittel möglichst unverarbeitet sind, wird sich ein Kind von alleine kaum für die geschmacksoptimierten Industrieprodukte interessieren.
Vielfalt lehren
Sobald das Baby feste Nahrung bekommt, kann es direkt an nahrhafte Geschmäcker wie grünes Gemüse und Vollkorngetreide gewöhnt werde (Natürlich immer in Absprache mit dem Doktor!). Wenn ein Kind mit verarbeiteten Lebensmitteln aufwächst, wird es sich später tendenziell weniger von unverarbeiteten Nahrungsmitteln ernähren. Unsere Geschmacksknospen werden schließlich in jungen Jahren geprägt, was man an den unterschiedlichen Esskulturen sieht. Ich persönlich würde kaum auf Maden herumkauen, während dies wahrscheinlich in anderen Ländern eine Delikatesse darstellt!
Auch bei gemeinsamen Mahlzeiten kann darauf geachtet werden, dass unterschiedliche Lebensmittel zur Verfügung stehen, sodass ein Kind nach seinen Vorlieben wählen kann.
Kind einbeziehen
Kinder können von Anfang an in die alltäglichen Essensentscheidungen mit einbezogen werden, indem sie beim kochen dabei sein dürfen und auf ihre Ideen und Präferenzen Rücksicht genommen wird. Hierbei wird auch die Neugier und Kreativität des Kindes gestärkt.
Für ständige Verfügbarkeit sorgen und Hunger akzeptieren
Wenn ein hungriges Kind von Anfang an ernst genommen wird, besteht kaum die Gefahr, dass aus diesem Kind ein Überesser heranwächst. Wenn sich das Kind selbst bedienen kann, beispielsweise an immer bereitstehenden Häppchen, Obst und Gemüse etc., wird es keinen Grund geben Angst vor Hungerphase zu entwickeln.
Traditionen und eine gute Essens-Atmosphäre schaffen
Das gemeinsame und friedvolle Essen ohne Fernsehen und andere Ablenkungen in Form von Streit o.ä. trägt zu einem gesunden Essverhalten bei.
keine Verbote und Wertungen (Wörter, Blicke, Handlungen)
Verbote oder Wertungen beeinflussen Kinder. Auch Belohnungen und Bestrafungen in Form von Essen! Verbotene Früchte reizen! Viele Kinder durchleben zudem Rebell-Phasen, in denen sie besonders Dinge ausprobieren wollen, von denen die Eltern abraten!
Nein akzeptieren (Geschmack und Sättigung)
Manchmal haben Kinder Phasen, in denen sie spezielle Nahrungsmittel ablehnen. Daraus muss keine große Sache gemacht werden. Geschmäcker sind unterschiedlich und verändern sich. Es kann sein, dass das Kind irgendwann ganz von allein danach greift, sofern es weiter verfügbar ist.
Wasser als Getränk
Ich persönlich bin mit Säften groß geworden und es hat mir anfangs Überwindung gekostet, mich ans Wasser trinken zu gewöhnen. Es gibt viele Erwachsene, die aber mit Wasser aufgewachsen sind und es als Hauptgetränk bevorzugen.
Nicht in dick- und dünnmachende Lebensmittel einteilen
Wir wissen oftmals selber, dass wir Probleme haben bestimmte Lebensmittel zu genießen, weil uns irgendwann eingetrichtert wurde, dass bestimmte Nahrungsmittel zum Übergewicht beitragen. Vielmehr ist jedoch unser Verhältnis zum Essen Schuld an unserem Gewicht. Die Einteilung in “dick- und dünnmachend” führt dazu, dass ein Kind schon früh eine Diätmentalität antrainiert bekommt. Die WHO präsentierte in ihrem letzten Gesundheitsbericht, dass sich bereits jedes zweite 15-jährige Mädchen zu dick fühlt, was zeigt wie sehr das Selbstbild schon in jungen Jahren gestört ist (13 % der Mädchen sind in diesem Alter übergewichtig oder fettleibig).
Vokabelaustausch von “Gut und schlecht” in “nahrhaft und weniger nahrhaft”
Damit ein Kind ein gesundes Verhältnis zum Nahrungsmittelangebot entwickelt ist es wichtig, dass Nahrungsmittel nicht als gut und schlecht bewertet werden. Das Kind lernt sonst, dass Nahrungsaufnahme auch etwas mit Fehlern zutun hat und Essen wird zum Stressfaktor. Anstattdessen kann man dem Kind erklären, dass bestimmte Nahrungsmittel einen Anteil daran haben, dass wir wachsen, wir stark werden, unsere Wunden heilen und wir vor Energie nur so strotzen, während andere Nahrungsmittel nur einen geringen Anteil daran haben
Unseren Aufenthalt bei der Roadfamily beendeten wir übrigens mit einem gemeinsamen Frühstück in Kuala Penyu, eine malaysische Kleinstadt am Flussufer. Es gab Roti Kosong, ein fettiges, dünnes Fladenbrot, das mich an Pfannenkuchen erinnerte. Als Kind hätte ich gar nicht genug davon bekommen können. Linas Miene verzog sich nach dem ersten Bissen und man konnte ihr ansehen, dass sie enttäuscht war. Sie beklagte sich darüber, dass sie nicht so schmeckten wie sonst. Sie wollte nicht weiter essen und zog den Mais vor, den Mama in ihrem Rucksack mitgenommen hatte.
Hätte ich als Kind so entschieden? Hätte ich einen Unterschied zu sonst gemerkt oder hätte ich einfach gegessen, ohne mich zu fragen, ob mich das glücklich macht oder nicht?
Ich finde in meiner Kindheit viele plausible Erklärungen für meine heutige Einstellung zum Essen. Du auch?
Hast du Kinder? Wie kann man ein Kinder trotz einflussreichem Umfeld dabei unterstützen sich zum intuitiven Esser zu entwickeln?