Die dünnen Dicken

 
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Ich kam rein, knallte die Tür hinter mir zu, warf meine Jacke an den Haken und schoss die Schuhe an das andere Ende des Flurs. Meine Schultern klebten fast an meinen Ohren so angespannt war ich. Ich ging direkt zum Kühlschrank, nahm mir den Schokoweihnachtsmann heraus, der da schon Monate herum lungerte und biss ihm den Kopf ab. Dann biss ich ihm mit einem Mal den halben Oberkörper ab. Während ich kaute versuchte ich das Verpackungspapier auf der Arbeitsfläche zusammen zu puzzeln um die Nährwerttabelle lesen zu können. 70 g wog der alte Mann. 100 g hatten 550 Kalorien. Ich holte aus der Schublade meine Küchenwaage und legte ihn drauf. 43 g wog er noch. 27 g Schokolade hatte ich gerade zu mir genommen. Ich griff nach dem Taschenrechner in der Küchenschublade und gab einen Dreisatz ein. Scheiße. Das waren 148 ungeplante Kalorien. 148 Kalorien zu viel für diesen Tag. 450 Kalorien, die ich für mein Abendessen eingeplant hatte, sind innerhalb von ein paar Sekunden auf 302 geschrumpft. Es war 16 Uhr und ich wusste, dass ich es an diesem Tag nicht aushalten würde.

Im Ankleidezimmer schlüpfte ich in meine Sportklamotten, legte mir meinen Bauchgurt und die dazugehörige Pulsuhr um und verließ die Wohnung um laufen zu gehen. Alle 15 Minuten schaute ich auf die Uhr, die die verbrannten Kilokalorien anzeigte. 600 Kalorien später, kam ich wieder zuhause an.

Alles nur Geltungssucht?

María Sánchez, Heilpraktikerin für Psychotherapie verwendet die Bezeichnung "dünne Dicke" für Personen, die aufgrund ihres Normalgewichts, ihrer schlanken oder sogar athletischen Statur nicht mit einer Essstörung in Verbindung gebracht werden.

Sie werden oft sogar von übergewichtigen Menschen belächelt, oder als geltungssüchtig abgestempelt, da sie ihrer Meinung nach übertrieben nach Aufmerksamkeit schreien.

Wenn auch nicht offensichtlich, die dünnen Dicken legen ein unnatürliches, zwanghaftes und emotionales Essverhalten an den Tag. Durch kontrollierende Maßnahmen wie Sport, Selbstdisziplin, Kalorien zählen, Verbote usw. können sie ihr Gewicht halten. Würden sie all das nicht tun, wären sie dick. Dieser Lebensstil kostet den Betroffenen viel Kraft und Energie.

Manchmal ohne es zu bemerken….

So ging es mir jedenfalls über einen längeren Zeitraum.

Jahrelang wollte ich sportlich sein, musste mir aber immer wieder eingestehen, dass ich keine Disziplin hatte etwas längerfristig durchzuziehen. Aus den verschiedensten Vorhaben wie “ich gehe jetzt viermal die Woche joggen”, “ich werde jetzt ne richtig krasse Boxerin”, “aus mir wird the sexiest Poledancerin ever” wurde früher oder später immer ein “ich ziehe sportlich nie etwas durch”. Viel zu gerne verbrachte ich meine Zeit anders.


Irgendwann hatte ich dann eine richtig miese Phase.

Nichts machte Spaß, ich hatte keine Aufgabe, die mir sinnvoll erschien und ich fühlte mich abgewiesen, ungeliebt, langweilig, undiszipliniert und hässlich.

Von der erfüllenden Gefühlslage zur Gefühlsplage

Um die Geschichte abzukürzen: aus mir wurde eine dünne Dicke. Der Fitnesskram gab mir eine Aufgabe und eine Routine.

Ich hatte im Fitnessstudio eine Anlaufstelle, in der ich jeden Tag willkommen war, Menschen, die mich für meine Disziplin würdigten, feste Essenszeiten, feste Kalorienmengen, einen Trainingsplan und ein Tagebuch, indem ich Körperumfänge wöchentlich festhielt und einen Ordner, voll mit Körperzusammensetzungsanalyse-Ergebnissen (krass, langes Wort, ne?) und meine Trainingseinheiten, in denen ich jede geschaffte Wiederholung einer Übung, jede Gewichtssteigerung und die Pausenzeiten dokumentierte. Am Ende einer Einheit bewertete ich meine Form mit einem lächelnden oder einem traurigem Smiley am Seitenrand. An den Abenden plante ich die nächsten Tage, kochte vor oder schoss Selfies für Instagram.

Manchmal aß ich etwas mehr, als mein Ernährungsplan vorgab, weil ich einen “schwachen Moment” hatte. Noch während ich kaute, rechnete ich aus, wieviel ich nun von der Folge-Mahlzeit abziehen müsste. Manchmal half nur noch eine Extra-Einheit Sport.

Diese ungeplanten Fressanfälle warfen meine Planungen von einem Moment auf den anderen manchmal ganz schön aus der Bahn. Aber wenn ich an solchen Tagen meinem inneren Essdrang nicht nachgab, konnte ich an nichts anderes mehr denken.

Heute weiß ich, dass ich Hunger hatte. Und ich weiß, wozu es führt, wenn man körperliche Bedürfnisse missachtet.

Reflexion

Der Sport und die angepasste Ernährung waren schon längst meine Anker geworden. Nichts hat mich so sehr erfüllt, wie das Abarbeiten meiner körperlichen Ziele. Desto mehr eine Sache im Leben gewichtet, umso mehr verzweifelt man, wenn es nicht so vorangeht, wie man möchte.

Ich wollte nicht anerkennen, dass meine Ziele ein Fass ohne Boden waren. Hatte ich Ziel X erreicht, konnte ich mich nicht lange darüber freuen und ein neues musste her.  Meine Form gefiel mir nie. Ein paar Mal habe ich darüber nachgedacht, ob ich mir Plastikbrüste anschaffen sollte. Dass ich keinen Zyklus mehr hatte störte mich erst nicht wirklich und auch die warnenden Worte meiner Ärztin ignorierte ich anfangs und es dauerte bis ich einsah, dass ich Krieg gegen meinen Körper führte.

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Bin ich gegen Kontrollmaßnahmen wie Kalorienzählen und Leistungsüberprüfung im Sport?

Ich kann hier nicht pauschalisieren. Es kommt darauf an.

Beim Essen bin ich fest davon überzeugt, dass unser Körper mit eigenen Kontrollsystemem ausgestattet ist. Hunger und Sättigung! Wir haben jedoch verlernt uns darauf zu verlassen. Beim Kalorienzählen werden Hunger und Sättigung oft außer Acht gelassen, da wir uns an äußerlichen Richtwerten - Zahlen - orientieren. Besorgniserregend an diesem Werkzeug ist die Tatsache, dass das Tracken von Essensmengen bei vielen Frauen zu Essstörungen führt. Der Großteil der Frauen beginnt damit um abzunehmen. Und es klappt. Zufriedenheit stellt sich ein. Zumindest erst. Diese Zufriedenheit führt äußerst schnell zu einem Kontrollzwang. Leider wissen die meisten Frauen nicht, wann Schluss sein sollte. Die Devise heißt “dünner”. An irgendeinem Punkt widerspricht der Körper, schließlich hat er das Gefühl ausgeraubt zu werden. Die Gedanken kreisen ums essen, wir können uns nicht konzentrieren, haben schlechte Laune, schauen was der Kühlschrank zu bieten hat, haben Heißhunger, erleiden Fressanfälle. So wird aus Kontrolle, ein Kontrollzwang und zuguter Letzt ein Kontrollverlust, welcher immer wieder aufs neue fatale Folgen auf das Selbstwertgefühl haben kann.

Die Frage, die sich jeder stellen muss lautet “warum tracke ich meine Kalorien?”. Wenn du ohne Probleme aufhören kannst zu zählen und nicht in Panik verfällst, dann ist alles super. Wenn du dich jedoch unbehaglich fühlst, dann kann ich dir nur ans Herz legen, nach einer Lösung zu suchen.

Essen nach unseren natürlichen Kontrollmechanismen kann allerdings enttäuschend ausfallen, wenn die ausgewählten Nahrungsmittel weitestgehend unnatürlich sind. Die Nahrungsmittelindustrie konzipiert Produkte so, dass möglichst viel reinpasst, wir nach mehr verlangen und unsere Sättigung erst spät einsetzt. Wenn unsere Lebensmittel jedoch hauptsächlich natürlich sind, also ohne Zutatenlisten und Nährwertangaben versehen sind, brauchen wir uns hier absolut keine Sorgen machen! Solltest du in der Situation sein, dass deine Ernährung eher unnatürlich ausfällt, empfehle ich dir mal deine Nahrungsmittel für einen Tag bewusst anders auszuwählen und die Erfahrung zu machen. Wie fühlst du dich nach dem Essen und auch noch Stunden danach? Bist du träge oder fit? Wie fühlst du dich am nächsten Tag? Lausche deinem Körper und überzeuge dich selber.

Im Sport gelten ähnliche Herangehensweisen. Ich glaube, dass das Tracken von Zeiten, Schritten am Tag und Wiederholungen von Übungen etc. sehr motivierend ist. Die Frage ist, wie wir damit umgehen, wenn wir unsere Zahlen nicht erreicht haben. Wenn sich das Gefühl des Versagens einstellt oder ein Training durchgeführt wird, um Fehlentscheidungen in der Ernährung zu korrigieren, lastet viel Druck auf uns. Ich bin dafür, dass wir Sport aus Liebe zur Bewegung und aus Liebe zu uns selbst machen. Hierfür beim Laufen einfach mal wieder mehr in die Natur blicken, als auf den Puls.


Durch Zufall stieß ich auf Unterlagen, die sich mit Ernährungspsychologie auseinandersetzen und da habe ich mich wieder erkannt.

Jetzt im Nachhinein weiß ich, dass ich eine Passion brauchte. Der Sport und die Ernährung gab mir etwas, woran ich mit vollem Eifer arbeiten konnte. Aber ich musste für mich erkennen, dass meine Ziele sehr oberflächlicher Natur waren. Eine Hülle kann wunderschön sein, aber auf den Inhalt kommt es an! Meine gelegentlichen Fressanfälle waren Schreie meines Körpers nach Aufmerksamkeit und die ständigen Gedankenkreise rund um das Thema Figur hielten mich davon ab, mich anderen Dingen zu widmen und dankbar zu sein. Dankbar für den Moment.

So ist es nämlich oft, wenn wir äußerliche Ziele verfolgen. Wir versuchen in der Zukunft besser zu sein, als in der Vergangenheit. Oder wir wollen die Vergangenheit wieder. Das JETZT wird ausgelassen, obwohl es der einzige Zeitpunkt ist, in dem wir wirklich genießen könnten.

Ich hatte Glück. Viele glückliche Zufälle, die richtigen Menschen zum richtigen Zeitpunkt, ein offener Kopf und Reflektionslust haben dafür gesorgt, dass ich Training und Ernährung mittlerweile immer noch als Säule sehe und brauche, aber dazu nun im gesunden Verhältnis stehe.

Sport und Ernährung sind nur eine Säule von weiteren. Sie helfen mir gesund zu sein, ein qualitatives Leben zu führen und mich um andere Dinge zu kümmern. Ich möchte beweglich, fit und gesund sein, aber vor allem glücklich. Die Funktion steht nun an erster Stelle. Glücklichsein strahlt mehr aus, als ein Körper, der mich nie zufriedenstellt.

Ich hasse mich nicht mehr für eine Trainingseinheit, die ich ausfallen lasse. Ich höre, wenn mein Körper sagt, dass es reicht. Wenn ich müde bin, gehe ich schlafen. Wenn mir eher nach lesen ist, dann bleibe ich auf dem Sofa liegen. Und wenn ich heute mehr essen will, dann ist das ok. Wenn ich Hunger habe, weiß ich dass mein Körper richtig funktioniert. Wenn ich satt bin, dann bin ich zufrieden. Habe ich einen Drang zu essen, dann frage ich mich was dahinter steckt und manchmal esse ich und dann ist das auch in Ordnung.

Das Fundament

Ein Haus benötigt ein Fundament, damit es seine Säulen tragen kann. Für mich ist das Fundament die Frage nach dem Warum. Warum tue ich, was ich tue. Wenn die Antwort Entspannung, Gesundheit, Lust und Freude ist, dann tue ich diese Dinge für mich. Darauf lassen sich gute Säulen bauen. Aufgaben, Hobbys, Freunde und Familie.

Sobald die Antwort aber im Außen liegt, etwa um in ein Bild anderer Menschen zu passen, um Anerkennung zu erhalten, dann ist dies sehr abhängig von den Außenbedingungen. Einen Sturm, vielleicht sogar einen Regen würde es nicht aushalten, das Fundament geht kaputt und alle anderen Säulen stürzen ein. Im übertragenen Sinne hieße dies, dass Bemerkungen, Blicke und fehlende Anerkennung dazu führen, dass wir uns in Frage stellen und unsere Lebensenergie darauf verwenden anderen Menschen zu gefallen, aber letzten Endes dennoch feststellen müssen, dass es uns damit leider auch nicht gut geht.  

Was du machen kannst

Bist du eine dünne Dicke? Vielleicht ja, vielleicht nein, vielleicht irgendwie. Das Spektrum ist weit gefächert. Evtl. investierst du all deine Kraft in deinen Körper um schlank zu sein. Vielleicht auch phasenweise immer mal wieder. Vielleicht leidest du bereits an einer ernst-zunehmenden Krankheit, die kein normales Leben mehr ermöglicht.

Gib deinem Leben Tiefe.

  • Welches sind deine Säulen im Leben?

  • Was hast du davon?

  • Aus welcher Motivation heraus tust du deine Dinge?

  • Hast du ein Essproblem, ohne, dass es für Außenstehende erkenntlich ist?

  • Was möchtest du wirklich?

  • Warum machst du Sport?

  • Um schlank zu sein oder geht es dir wirklich um deine Gesundheit?

  • Warum ist dir dein Aussehen so wichtig?

  • Wird es von dir verlangt? Hast du Sorge, dass du nur so akzeptiert/ geliebt wirst?

“Hast du abgenommen?” ist ein Scheiß, aber kein Kompliment

Hat dich schon mal jemand gefragt, ob du abgenommen hast?

Hast du schon mal jemanden gefragt, ob dein Gegenüber abgenommen hat?

Wir glauben, dass dies ein Kompliment sei ohne darüber nachzudenken, dass diese Betrachtungsweise oberflächlich - gar unmöglich ist!

Oft wird das vermeintliche Kompliment noch mit Sätzen wie “Boah, du siehst großartig aus” ausgeschmückt. Dies ist ein Trigger. Ein Trigger dafür, sich scheiße, hässlich, versagend zu fühlen, sobald man 5 Kilogramm zugenommen hat.

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Bin ich grundsätzlich gegen den Wunsch Kilos zu verlieren?

Nein.

In vielen Coaching-Anfragen schildern meine Klientinnen ihre Gewichtsproblematik mit einem bestimmten BMI und nennen mir häufig eine ganz bestimmte Zahl, die abgenommen werden muss. “Im September heiratet meine Schwester und bis dahin muss ich 10 kg abgenommen haben.” “Ich möchte 55 kg wiegen.” “Ich bin glücklich, wenn ich 5 kg verloren habe.” “Ich habe schon 25 kg abgenommen, aber es geht einfach nicht weiter. 25 kg müssen noch runter.” “Mein Arzt sagt, dass mein BMI zu hoch ist.”

Die allererste und wichtigste Frage, die zu klären ist, lautet:

WARUM WILLST DU ABNEHMEN?


Um diese Frage zu beantworten, bedarf es viel Reflexion und Ehrlichkeit sich selbst gegenüber.

Es gibt zwei Gründe, warum wir Menschen Gewicht verlieren wollen. Der erste Grund verbirgt sich hinter dem überwiegenden Teil Diät-Williger.

Grund 1: Suche nach Anerkennung/ Angst

Ist dies der Beweggrund, dann steht die Figur und die damit einhergehende Erwartung an erster Stelle. Die Person glaubt, dass sie durch einen schlankeren Körper eher akzeptiert wird, auch von sich selbst und so erfolgreicher durchs Leben schreiten kann. In ihren Vorstellungen fahren die Männer plötzlich voll auf einen ab, im Beruf geht es bergauf und die Freundinnen sterben vor Neid. Umgekehrt herrscht Angst vor dem Alleinsein, vor Abweisung und Missachtung.

Häufig empfinden diese Menschen Hass gegenüber ihren Körper und können sich dadurch nur schlecht annehmen. Durch fehlendes Selbstvertrauen rücken körperliche Bedürfnisse in den Hintergrund, da sie schlichtweg ignoriert werden oder als Schwäche abgestempelt werden. In der Praxis werden beispielsweise Hunger- und Sättigungsgefühle ignoriert bis es zum Crash kommt. Essen bis zum Völlegefühl, lange nichts essen, dann Heißhunger haben, den ganzen Tag funktionieren und abends vor dem Fernsehen snacken müssen. Emotionales Essen ist hier ein sehr großes Thema.

Im Hinterkopf herrscht immer Druck. Du musst! Du darfst nicht! Wenn du das machst, passiert das. Das ist schlecht und das ist gut. Im Kopf läuft ständig ein schwarz-weiß-Streifen ab.

Es ist nicht leicht sich einzugestehen, dass es in Wirklichkeit um Anerkennung geht. Es ist aber wichtig, um den Weg aus der potenziellen Esssucht zu finden. Ist dies geschafft, stellt ein Großteil fest, dass man gut ist, so wie man ist und bereits sein Wohlfühlgewicht hat.

Oder man ist gut vorbereitet um langfristig und gesund (psychisch und physisch) ein bekömmliches Gewicht zu erreichen.

Grund 2: Selbstliebe

Viele übergewichtige Menschen sind Risikopatienten für ein ganzes Sammelsurium an Krankheiten. Hinzu kommt die eingeschränkte Lebensqualität, weil man Probleme hat Treppen zu laufen, mit seinen Kindern eine gute Zeit zu verbringen, geschweige denn empfänglich zu sein, Kleidung zu finden, sich träge fühlt.

Es gibt auch Gründe abnehmen zu wollen, ohne übergewichtig zu sein. Das Motiv ist Wohlbefinden. Das Motiv ist die Liebe zu sich selbst. Diese Menschen verzichten auf Stress und Druck, wenn es um ihren Körper geht. Die Werkzeuge, die hier zählen, haben mit ganz viel Sensibilität zu tun. Es geht darum den eigenen Körper zu verstehen und tiefer zu schauen. Es geht darum, wieder die Sprache unseres Körpers zu erlernen. Es taucht kein Gefühl des Verzichts auf. Es gilt herauszufinden, was der eigene Körper benötigt.

Bei beiden Motivationen wird gewissermaßen mit Reglementierung gearbeitet. In Variante eins sind es Verbote wie “du darfst nicht!”. Bei der zweiten Variante steht hinten kein Ausrufungszeichen sondern ein Fragezeichen. Wir wenden uns zu und fragen uns “Brauche ich das jetzt wirklich?”

Brauche ich die Menge an Zucker, an Fastfood, an Mahlzeiten? Was brauche ich um mich gut zu fühlen?

Tauchen an dieser Stelle Gefühle des Verzichts auf, dann muss m. E. noch an der Esssucht gearbeitet werden.

Erst, wenn wir nicht mehr süchtig nach Essen sind, schaffen wir den Absprung zu Variante zwei. Dieser Weg fühlt sich verdammt gut an.

Ein Wohlfühlgewicht lässt sich nicht an einer bestimmten Zahl messen! Es lässt sich fühlen.

Wie geht es dir?

Ich habe vor ein paar Tagen in meiner Instagram Story gefragt, ob man selber schon einmal Gewicht zu- oder abgenommen hat, weil man eine schlimme Phase durchlebt hat.

Ich habe viele Antworten bekommen, dir mir bestätigen, wie unwichtig unser Äußeres ist und viel mehr dahinter steckt, als wir manchmal ahnen.

Viele Frauen wurde durch eine Trennung oder durch den Tod eines geliebten Menschen der Boden unter den Füßen weggerissen, sodass sie keinen Bissen mehr herunter bekamen und unweigerlich viel Gewicht verloren. Eine weitere Frau berichtete mir von Mobbing auf der Arbeit. Stress auf der Arbeit war ein Grund, der öfter genannt wurde. Aber auch eine Grippe lässt uns elendig fühlen.

Und es gibt die andere Richtung. Gewichtszunahme, weil Essen in schlimmen Situationen tröstet oder in wütenden Zeiten ein Ventil darstellt.

“Hast du abgenommen?” ist eigentlich eine verbale Backpfeife. Es gibt wichtigere Fragen. Zum Beispiel das wirkliche Interesse am Wohlbefinden des anderen.

Es mag sein, dass sich jemand darüber freut, wenn auffällt, dass man Kilos verloren hat.

Selbst dann möchte ich davon abraten, oberflächliche Komplimente zu machen. Wir müssen uns gegenseitig nicht mehr mit veralteten Schönheitsidealen pudern. Wir haben 2019. Wir haben jetzt alle Schönheitsideale durch. Sei wer du bist. Sei die Person, mit der du gerne Zeit verbringen möchtest. Sei die Person, bei der man sich gut fühlt - egal in welcher Phase man sich gerade befindet.

Und macht jemand in deinem Umfeld ein Kompliment über verlorene Kilos oder lästert über eine Person, die zugenommen hat: Es wird eine Person sein, die unzufrieden mit sich und mit ihrem Leben ist. Eine Person, deren Inhalt sich in Klatschzeitschriften abspielt, eine Person, bei der nach der Diät vor der Diät ist. Eine dünne Dicke.

Sei Du. Gib deinem Leben Tiefe.

Vor ein paar Wochen schrieb ich mit einer Teilnehmerin meines ersten Workshops. Sie zog zwischenzeitlich aus beruflichen Gründen in eine andere Stadt, lernte neue Menschen kennen und kam aus ihrem alten Trott heraus. Beiläufig erwähnte sie, dass sie inzwischen 11 kg verloren hat. “Ich habe noch nicht mal etwas dafür getan!”

Sie hat etwas dafür getan: Sie hat den Druck raus genommen und sich um andere Bereiche ihres Lebens gekümmert.